Würde könnte


Ich höre mal wieder 99 zu 1 auf youtube. Dass ihre Klickzahlen steigen, ist natürlich schade. Don’t feed the troll.

Vielleicht ist in einer Phrase gleichzeitig der Aufstieg, die kommende Stagnation und die generelle Wertlosigkeit solcher Heinis angelegt:

“Da könnte man dann kritisieren, dass”
“Dazu würde ich ja sagen, dass”

Sie führen keinen Dialog, kritisieren niemanden, sondern sie stellen sich und dem Publikum einen Dialog vor, in dem dann die vorgestellten Argumente angebracht werden könnten. Na und?

 

Erstens wird ein Konsens vorgelebt. Sie sind mit sich selber ganz im Reinen – oder sie wecken den Anschein. Der Anschein ist natürlich für die Fans, die nur auswendig lernen müssen, um den Code des Konsenses zu lernen und dazu gehören zu können. Das ist das am wenigsten Schlimme daran, auch wenn es für den Untod der linken Szene maßgeblich verantwortlich ist. Es ist auch so frustrierend, dass ich mich mit den anderen Punkten, die ich in meinem Haufen anno dazumal angeprangert hatte, in der Hoffnung auf Veränderung. Die wurde natürlich enttäuscht, und heute gibts von dem Haufen auch Podcasts, die solche Phrasen verbreiten.

Was würde man denn bloß sagen, wenn man mal einen trifft, der nicht die eigene Meinung hat. So eine dumme oder böse Frage. Die Phrase wird immer dann gehäuft verwendet, wenn die intellektuellen Ziehväter dabei sind – Zuckermann, Decker etc. Oder wenn ein Thema besprochen wird, wo die Arbeit des Gedankens noch möglich oder nötig ist, wo dieser aber ängstlich konjunktivisch ausgeklammert wird. Am besten wird ein Punkt herausgesucht, an dem die gelernten Argumente wieder angewandt werden können. ( Nichts gegen alte Argumente, wenn sie denn richtig sind, und wenn sie – wie die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch den gerechten Lohn – keine Wirkung haben, dann müssen sie auf Herz und Nieren geprüft werden.

 

Es werden Agitatoren ausgebildet. Der ausbildende Verein ist daher auch zum Konsens gezwungen. Es geht nicht, dass die jungen Leute am Fließband formallogische Argumente lernen, wenn die Lehrenden deren Richtigkeit bestreiten. Aber das geht doch; der ganze GS besteht daraus. Die Neuauflagen der Kritik – wie geht das? und der Kritik der BWL streichen die Reste der Widersprüche, welche sie möglicherweise aufgrund der Restvernunft des betrunkenen Karl Held immerhin noch hatten, und setzen Menschenbilder ein, damit die Theorie wieder passt. Die kommende Generation, die sich fragt, was man denn sagen würde, wenn man mal ein neues Phänomen beschreibt, kann einfach abschreiben, oder es von nun an einfach einem LLM überlassen.

 

Ich stelle mir die Kader- und Agitatoren-Ausbildungsarbeit der letzten 100 Jahre so vor, ich habe sie selber so erlebt. Dass so etwas nicht auffällt, ist mir ein Rätsel! Aber es trägt die Stagnation und Irrelevanz zum Glück in sich. Spontaneität als Vermögen, einen Gedanken trotz eigener Dummheit und Ohnmacht zu machen, nicht immer nur kritische Argumente auf zu zählen, sondern den Gegner im Handgemenge zu treffen, das wird ausgetrieben – nicht alleine in der Linken, sie ist damit Reflektorin der Akademie und Schule.